Das Bild des Tages…

… kommt aus Toronto. 


… Aber mit dem Schaukeln in der sozialen Hängematte, kann man auch hier in Kanada nichts werden, und auch das Land und die Stadt wären nicht so sehenswert, wenn die Menschen hier nicht so diszipliniert und leistungswillig wären… Aber das nur am Rande, eigentlich war es gar nicht geplant nach Toronto zu fahren, aber -Dewaynes’s Empfehlungen haben unsere Überlegungen beeinflusst.

Wir nehmen den Mittagszug nach Windsor, an die Grenze nach Michigan. Die Fahrt wird ca. 4 Stunden dauern. Windsor ist knapp 400 km entfernt. Unsere Fahrkarten kosten zusammen mit den Sitzplätzen jeweils 125, – Can$, das sind rund 85.-€. Bereits gestern Nachmittag haben wir unsere Fahrräder für 50 Can$ vorausgeschickt, da unser heutiger Mittagszug keinen Gepäckwagen mitführt. Der Bahnhof, das Besteigen des Zuges ist schon ein besonderes Erlebnis, ja ein niveauvolles Ritual, und lohnt näher beschrieben zu werden. Etwa 45 min vor Abfahrt des Zuges, also sehr pünktlich sind wir auf dem Haupbahnhof, auf der Union station. Der Bahnhof ist wirklich ein Bahnhof. Alles ist sauber, überall gibt es Sitzmöglichkeiten, Toiletten sind zugänglich, sie sind sauber und man kann sie bedenkenlos nutzen! Wir befinden uns also nicht in einer Einkaufs- und Imbissstation mit angeschlossenem Zugang zu einer Bahnhofsanlage, wie wir es aus Cottbus, Berlin oder Leipzig kennen. Eine große zentrale Anzeigetafel zeigt, wie uns auch die gut verständliche Durchsage bald mitteilt, daß der Zug jetzt 30 min vor der Abfahrt zum Besteigen auf Gleis 20 bereitsteht. Vor dem Zugang zu Gleis 20 stehen, als wir dort ankommen, vielleicht bereits 30 Fahrgäste, in entspannter Schlange. 2 Bahnbeamte begrüßen alle freundlich, scannen ein erstes Mal alle Fahrkarten. Eine wiederholte Durchsage bittet um Rücksicht für Senioren, Familien mit Kindern und auch behinderte Fahrgäste, und fordert sie auf sich beim Servicepersonal zu melden.

Ca. 20 min vor Abfahrt wird der Zugang zum Bahnsteig freigegeben, und die Fahrgäste gehen entspannt zum Zug, wo die Zugbegleiter auf die Wagennummern hinweisen, beim Einsteigen behilflich sind, zumindest beim Gepäck ggf. mit anfassen. Wir haben im Wagen Nr. 5 die Plätze 17 C und D, das ist am Ende des Wagens und auch des Zuges. Ich sage: „Ich bin …5…“, worauf der Schaffner antwortet: „… Sie schauen aber aus wie über 30…“. So ist es eben mit unserem nicht perfekten Englisch! Im Wagen selbst, sind rechts und links je 2 Plätze in Fahrtrichtung, insgesamt 17 Reihen, also Platz für ca. 70 Passagiere. Alle Plätze sind besetzt denn der Zug ist ausverkauft. Noch vor Abfahrt erscheint der Wagenschaffner, oder bezeichne ich ihn besser als Servicebegleiter? Auf jeden Fall erscheint er um Reisende am Wagenende, nämlich mich und einen Studenten hinter mir, freundlich und mit wenigen witzigen Worten auf die Öffnung der Notausstiege im Ernstfall hin- bzw. einzuweisen. Ruth bittet er darum, er sagt: “ Madam…“, darauf zu achten, daß wir den Notfall nicht verschlafen. Dann fliegt die Landschaft der Provinz Ontario an uns vorbei. Es ist vorwiegen Farmland, flach und eben, auch hier gibt es Windräder. In vielleicht 6 Orten halten wir unterwegs, etwa nach 200 km erreichen wir einen Ort mit dem bekannten Namen London, da verlassen die meisten Fahrgäste den Zug. Unser Servicebegleiter hat bis dahin bereits 4 mal die Runde durch den Wagen gemacht: Das erste Mal kurz nach der Abfahrt, um nach dem Rechten zu sehen, eventuell noch Gepäck zu verstauen. Beim 2. Mal kam er mit Getränken und kleine Snacks, das 3. Mal um Müll und Verpackung oder bereits ausgelesene Zeitungen einzusammeln. Beim 4. Mal hat er etwas Zeit, denn es sind nur noch wenige Reisende im Wagen. Wir kommen ins Gespräch, denn er hat gleich erkannt, daß wir keine Kanadier sind: „Ja, wir kommen aus Europa, aus Deutschland.“ – „…und aus welchem Teil von Deutschland?“ Wir antworten immer: „Aus der Nähe von Berlin, einem kleinen Dorf, etwa 100 km südlich.“ – „Ahh, Hertha BSC, Hertha Berlin, kennen Sie das? Ist das Ihr Team? “ Bekanntlich hält sich meine Sympathie für die Hertha ja in Grenzen: „… wir haben bei uns dort ein eigenes Team, in Cottbus…“ Das kennt Mourad (51), so heißt der sympathische Zugbegleiter, natürlich nicht. Obwohl er sagt, “ ich habe Fußball gespielt, früher“. – „Und, wo kommen Sie her?“ frage ich, denn ich habe auch schnell erkannt, daß Mourad kein gebürtiger Kanadier ist. – „Aus Algerien.“ – „Wie lange sind Sie schon hier?“ – „Ohh, schon fast 20 Jahre.“ – „Und wieso, und wie sind Sie nach Kanada gekommen?“ Mourad lacht: “ Na durch den Fußball, ich war Fußballprofi.“ Dann sprudelt es nur so aus ihm heraus, „… Algerien – Deutschland, 1982 in Spanien… Hrubesch, Kalz, Möller…“ Er kennt die gesamte Aufstellung der deutschen Mannschaft noch immer auswendig. Ich frage nochmal: „…und wie sind Sie nach Kanada gekommen?“ Nun erklärt mir Mourad genauer: „Nun, ich war Fußballprofi, und hatte mit 19 Jahren meinen ersten Vertrag in Bastia, auf Korsika. Dann hatten wir ein Spiel gegen Kanada, ein Freundschaftsspiel, und der Betreuer, der auch andere Kanadische Teams betreut, hat gesagt, ich solle nach Kanada kommen. Ich bekomme einen besseren Vertrag. Da hatte ich schon 80.000 für die Saison in Bastia, und sie haben mir einen Vertrag in Kanada angeboten mit 120.000 $. Das ist sehr viel Geld für einen 19 – 20 jährigem Jungen. Doch mein Papa hat ’nein‘ gesagt, er hat es nicht erlaubt. Also blieb ich in Bastia.Doch nach 2 Jahren ist der Papa gestorben, und mein großer Bruder sagte, ich könne gehen, und soll meine Chance nutzen. Und ich habe das gemacht.  Ich war klein, ich war wendig, dribbelstark. Ich war diszipliniert, denn ich war in Algerien durch eine harte, aber gute Sportschule gegangen. Und ich konnte kämpfen. Und so bin ich nach Toronto gekommen und bekam im ersten Jahr 120.000$ und dann einen Vertrag für 3 Jahre mit 180.000 $ pro Saison. Und ich hatte Glück, blieb gesund, war nicht verletzt. Ich habe auch immer diszipliniert und gesund gelebt, nicht geraucht, nicht getrunken…“- “ Wo lebst Du jetzt?“ – „In Toronto.“ – „Spieltst Du noch Fußball?“ – „Ja, einmal in der Woche, mit den Ü 50.“ – „Hast Du Familie?“ – „Ja, ich bin verheiratet und habe 2 Töchter und einen Sohn, d.h. zuerst ein Zwillingspärchen und dann noch eine Überraschungstochter.“ Dann muß Mourad gehen, mal nach den anderen Fahrgäsen sehen. Als er wiederkommt bringt er 2 Kaffee für uns mit, und 2 mal kleine Schokolade. Eine Bezahlung weist er strikt zurück. Dann schwatzen wir weiter. Wir müssen über unsere Reise berichten, auch er warnt vor manchen Gegenden in Detroit, insbesondere nach Einbruch der Dunkelheit. Telefonisch versucht Mourad einen Shuttleservis für uns nach und durch Detroit zu organisieren. Ich frage, ob er noch nach Algerien fährt, und wie oft. Ja, sagt er, meist im März für mindestens 4 Wochen. Wir reden über Politik, und die Lage in Algerien. Dann kommen wir noch auf die Einwanderung, insbesondere hier in Nordamerika zu sprechen und Mourad meint dazu: „Amerika und Kanada sind clever, sie wollen die besten haben, und sie holen die besten. Die, die arbeiten wollen, und die klug und diszipliniert sind. Und sie bezahlen sie gut, besser als anderswo. Deshalb stehen sie so gut da.“ Es gäbe noch vieles zu besprechen und zu befragen, doch wir kommen nach Windsor. Hier endet der Zug. Wir verabschieden uns von Mourad, diesem überaus freundlichen Zugbegleiter herzlich. 

Wir resümieren: Radfahren ist nicht alles, Zugfahren geht auch, weil –

  •  sich ohne Kraftanstrengung in kurzer Zeit eine größere Distanz überwinden lässt,
  • man bequemer sitzt,
  • man die Landschaft re. und li. Besser betrachten kann,
  • es keine angenehmen und unangenehmen Witterungsbegleiter, keine Hitze, kein Regen, keinen Gegenwind, keine erbarmungslose Sonne gibt,
  • und weil man nicht schwitzt.

GLeich als wir in Windsor aussteigen, nehmen wir ein Taxi, einen kleinen Caddy. Hier passen auch unsere Räder mit abmontierten Vorderrädern hinein. Wir wollen Detroit durchqueren und am nördlichen Stadtrand, in der Nähe des Flughafens in einem einfachen Hotel übernachten. Ein junger Mann aus dem Jemen, Salah (31), fährt uns. Er ist seit 4 Jahren in Kanada. Das Taxi hat er gemietet, 450 $ pro Woche. Es ist Dienstag Nachmittag, 17.00 Feierabendverkehr. Wir haben viel Zeit zum Reden …

10 Gedanken zu „Das Bild des Tages…“

  1. Hallo Ihr zwei, ja Toronto ist schon ne beeindruckende Metropole. Sind auf eure weiteren Berichte gespannt. Freuen uns das wir auf diese Weise an eurer Reise teilhaben können. LG von den Kobels aus Löschen

    1. Danke für Ihren Kommentar, ich warte immer noch auf die Gelegenheit unsere Fahrräder mal neben einer Indian zu parken … das würde ein schönes ‚Bild des Tages‘ geben…
      Freundliche Grüße an Sie alle, Ru & Ro Kobel

  2. … Die Zuggesellschaft heißt VIA Rail Kanada. Habe übrigens auch noch Bilder aus dem Bahnhof, und es gibt noch ein Resümee. War nur keine Zeit, noch keine Zeit es mit einzufügen. Gruß, R.

  3. Ich verfolge mit großem Interesse Ihren Blog und finde Ihre Tour einfach toll. Es ist bemerkenswert, dass Sie mit so vielen Menschen ins Gespräch kommen und daher bestimmt viel über „Land und Leute“ kennenlernen.
    Für die weiteren Tage wünschen ich Ihnen gutes Wetter und immer genug Luft auf den Reifen :-).

    Klaus-Dieter Zech

    1. Danke Herr Zech, natürlich muß man die Chancen, die sich für ein Gespräch so bieten auch nutzen. Und das machen wir ja gezielt, da dies das Reisen für uns ja so spannend und interessant macht. Deshalb sind wir auch mit dem Rad unterwegs und jeden Morgen sind wir gespannt was der Tag an Landschaft, Sehenswürdigkeiten, Pausenstopps und Begegnungen so bringen wird. Schöne Grüße nach Cottbus von Roland Kobel

  4. Hallo zu euch lieben Reisenden, es liest sich so schön und man fühlt sich fast wie mitten drin. Wir finden es fantastisch das Ihr mit so vielen Leuten ins Gespräch kommt und so gut verständigen könnt. Da erfährt man natürlich viel und das macht eure Reiuse auch aus. Macht weiter und schreibt alles auf, wir freuen uns auf weitere Etappen und den dazu gehörigen schönen Berichten. Sind im Gedanken bei euch und schicken liebe Grüße von Cb zu euch von den Kobels

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